Bild: Grundlage ist ein Ausschnitt aus dem Sammelbild von “Aecht Pfeiffer u. Dillers Kaffee-Essenz.” (um 1910)

 

Aus: Der Heimatfreund, 1933, Nr. 5, Beilage zum Donauwörther Anzeigeblatt, Herausgegeben in Verbindung mit dem Historischen Verein für Donauwörth und Umgebung

 

Der Donauübergang der Nibelungen

Nach Angaben des Bürgermeisters Josef Weidner in Berg, von Dr. Max Förderreuther, Donauwörth.

In zahlreichen Schriften, die sich mit der gewaltigen deutschen Nationaldichtung aus dem Ausgange des 12. Jahrhunderts, dem Nibelungenlied, beschäftigen, wurde versucht, die darin angegebenen Oertlichkeiten und damit den Schauplatz der einzelnen Handlungen des Sage geographisch festzulegen.

Siegfriedstätten sind Worms, Lorsch und der Odenwald, wo mehrere Orte sich um die Ehre streiten, den Siegfriedbrunnen, die Stätte der Ermordung Siegfrieds durch Hagen, zu besitzen. (Spessartkopf bei Grasellenbach, „Lintbrunnen“ bei Hüttenthal.)

Im zweiten Teil unserer Nationaldichtung, in der Nibelungen Not, ist es vor allem die Frage des Ortes des Donauübergangs der Nibelungen, die zu heimatkundlicher Forschung Anlaß bietet.
Nach dem Nibelungenlied schreitet Kriemhilde 13 Jahre nach Siegfrieds Ermordung durch Hagen zur Ausführung ihrer Rachepläne. In der 25. Aventüre wird geschildert, „wie sich die künege ze den Hünen (Hunnen) huoben“. Der Zug wohlgerüsteter Burgunden unter König Gunther geht von Worms gegen den Main und sodann von Ostfranken durch das „Swalfeld“ an die Donau.

„Do sie von Ostervranken durch Swalvelde riten,
do mohte man sie kiesen an herlichen siten,
die fürsten unt ir mage, die helden lobesam,
an dem zwelften morgen der künec ze Tuonouwe kam.“

Am 12. Tage ihrer Reise also erreichten die Burgunden die Donau. Der Strom ist angeschwollen, die Flut ausgetreten und keine Furt zu finden. Hagen, der zuvorderst reitet, steigt ab und sucht den Fergen. Er hört Wasser rauschen und horcht. Da findet er zwei badende Wasserfrauen, die in einem schönen Brunnen baden und mit Vögel auf der Flut schweben. Sie weissagen ihm den Tod aller Burgunden, mit Ausnahme des Kaplans, in König Etzels Land. So kündet sich in ihrer Weissagung die grauenvolle Zukunft an als düstere Vorahnung des unentrinnbaren Untergangs aller Nibelungen. Jenseits des Donaustroms wohnt der Fährmann des bayerischen Markgrafen Else, den Hagen erschlägt. Die Burgunden setzen zu Schiff über die Donau, die Rosse schwimmen zusammengekoppelt nach. Schiffsmeister ist Hagen. Er stößt, zu fürchterlicher Probe, ob der Wassernixen Weissagung sich erfüllt, den Kaplan ins Wasser, der aber kommt ans Land. Da erkennt Hagen, daß der Wasserfrauen Weissagung unvermeidlich ist und kündet den Recken ihr furchtbares Schicksal. Dann ziehen die Nibelungen donauabwärts durchs Bayerland. Hagen schlägt einen Angriff der Bayern auf die Nachhut ab und sie kommen über Passau in die Mark Rüdigers von Bechlaren (Pöchlarn).

Wo nun fand der Donauübergang statt? Das Nibelungenlied legt, offenbar auf Grund genauer Ortskenntnis des Verfassers den Ort in Vers 1634 fest mit den Worten:

„Sie waren übers Wasser bei Möringen gekommen,
wo dem Fährmann Elsen das Leben ward genommen.“

Wo aber lag der Ort Möringen? Ist das im Nibelungenlied genannte „sualafeld“, wie feststeht, ein Gau nördlich der Donau zwischen Wörnitz und Altmühl, so müssen die Burgunden entweder altmühlabwärts zur Donau gelangt sein und der Ort Möringen muß dann, wie denn auch die bisherige Forschung annimmt, Großmehring unterhalb Ingolstadt oder Marching bei Neuburg an der Donau gewesen sein, oder aber die Burgunden zogen die alte Straße auf dem Ostrand des Rieses, die „Reichsstraße“, wie sie im Dorfehehaft der Gemeinde Ebermergen vom Jahr 1550 (im Gemeindearchiv Ebermergen) und heute noch in der Stadt Donauwörth genannt wird, durchs Schwalbenholz (Uebergang über die Schwalb bei den Schwalbmühlen, Gemeinde Gosheim) herab zum Flußübergang über die Donau in oder bei dem heutigen Donauwörth.

Die letztere Annahme hat m. W. erstmals der 1925 im Alter von 85 Jahren verstorbene Sekretär am Amtsgerichte Donauwörth, Johann Weidner, (Vater des jetzigen Bürgermeisters von Berg), ein sehr belesener Mann, der auf Grund langjähriger Tätigkeit am Donauwörther Hypothekenbuchamte über genaue Kenntnis der in Frage kommenden Oertlichkeiten und der heimischen Flurnamen verfügte, vertreten. Leider unterließ er jede schriftliche Aufzeichnungen darüber, wie er seine Ansicht begründete, sodaß im folgenden lediglich das, was sein Sohn, Bürgermeister Josef Weidner in Berg, auf Grund von Gesprächen mit seinem Vater im Gedächtnis behielt, als Stütze dieser gewiß kühnen, für Donauwörth bemerkenswerten Annahme, herangezogen werden kann.

Nach Weidners Ansicht handelt es sich bei dem im Nibelungenlied erwähnten Orte „Möringen“ um den schon im Jahre 1250 urkundlich erwähnten, später abgegangenen Ort „Moringen“ (später Möringen, Meringen, Mehringen), der zwischen Auchsesheim und der Schwadermühle bei Donauwörth lag und an den noch der Flurnahme „Mehringer Feld“ erinnert.[1]

Sollten ferner, meint Weidner, die Schwalbmühlen bei Gosheim und das Feld „Schwarzwald“ bei Binsberg mit dem „sualafeld“, sollte der alte Namen der Ortschaft Berg ob Donauwörth „Berg auf der Hagenau“ mit dem grimmigen Hagen zusammenhängen.[2]

Auf der Ausschau nach den Fergen suchte Hagen „dann und wieder“ und stieß dabei auf den „schönen Brunnen“ mit den weissagenden Meerweibern (Nornen), den Weidner örtlich festlegen zu können glaubt in dem nahe der Heerstraße gelegenen Orte Brünnsee (Bezirksamt Donauwörth) mit seinem großen, übrigens jetzt unter Naturschutz stehenden Quellweiher[3] dessen Wasser unter einem großen Felsen hervorsprudeln.

„er suochte nach den vergen wider unde dan,
er hörte Wazzer giezen, – losen er began, –
in einem schonen brunnen, das taten wisiu wip;
die kuolten sich darinne und badeten ir lip“.

Wohl ist dieser Ort heute weit vom jetzigen Donaulauf entfernt, aber man darf, meint Weidner, annehmen, daß vor dem Durchbruch der Donau bei Steppberg der Donaustrom bis Ebermergen, also weit aufwärts der Wörnitz, zurückgestaut wurde, sodaß bis dorthin ehedem eine von Sümpfen und Wasserläufen durchzogene Gegend sich erstreckt hat. Es wäre also immerhin erklärlich, daß Hagen auf der Suche nach dem Fährmann nach Brünnsee gelangte.

Weil der Dichter des Nibelungenliedes bei der Schilderung des Donauübergangs und der Donaufahrt der Burgunden so lange verweilt und bis in Einzelheiten erzählt, wie der Uebergang über den Strom sich vollzog, wie Hagen die Wasserfrauen traf, wie er den Fährmann erschlug und schließlich den Kaplan zu ertränken suchte, weil ferner gerade die Beschreibung der Donaufahrt eine genaue Kenntnis des Verfassers des Nibelungenliedes verrät, so darf, meint Weidner, angenommen werden, daß vielleicht unsere Gegend des unbekannten Dichters Heimat war. In der Tat sich alle Nibelungenforscher sich darin einig, daß das Nibelungenlied an der Donau entstanden ist.[4] Suchte man früher die Heimat des Verfassers jener gewaltigen Volksdichtung in der Gegend von Passau abwärts, in der Nähe von Linz, so ist die neuere Forschung geneigt anzunehmen, daß das Lied in Passau selbst oder im Donautal von Passau aufwärts entstanden ist, sei es etwa in Schloß Prunn im Altmühltal zwischen Eichstätt und Kehlheim, wo im Jahre 1575 der Ingolstädter Universitätsprofessor Graf Wiguläus Hundt, die jetzt in der Münchener Staatsbibliothek befindliche Nibelungenhandschrift entdeckte, sei es, wie Weidner für möglich hält, auf einer Burg der Donauwörther gegend, etwa auf der „Rauhen Birk“ bei Ebermergen oder auf dem mangoldstein in Donauwörth oder auf der Burg Lechsgmünd bei Graisbach.

Es wäre Sache germanistischer und heimatkundlicher Forschung, die bisher nicht schriftlich niedergelegte und eigentlich nur auf das urkundlich nachgewiesene Vorkommen des Ortsnamens Möringen in der Gegend von Donauwörth gestützte Ansicht Weidners, die sein Sohn Bürgermeister  Weidner in Berg, mir nach mündlichen Angaben seines verstorbenen Vaters mitzuteilen die Freundlichkeit hatte, auf ihre wissenschaftliche Haltbarkeit nachzuprüfen.

Zu Weidners Ansicht scheint die Schilderung des Nibelungenliedes über das Eindringen des Burgundenheeres ins Bayerland nach vollzogenem Donauübergang und über dem Kampf mit dem Bayernfürsten Gelpfrad zu stimmen, durch dessen Land sie nach dem hauptsächlich von Dankwart bestandenen Kampfe ziehen. Es war offenbar die alte Heerstraße am rechten Donauufer flußabwärts, die sie zogen. Der Lech, den diese Straße, von den Burghöfen kommend, südwestlich von Rain in der Nähe von Ober-Peiching[5] kreuzte, bildet seit Urzeiten die Stammesscheide zwischen Schwaben und Bayern, wie denn die nach Osten weisende Inschrift auf der aus dem Jahre 1459 stammenden Grenzsäule unweit des Bahnhofs Genderkingen in der Gemeindeflur Rain am Lech lautet: „hie daß Bairland“.

Auch der Umstand, daß die „ingen“ Orte dem schwäbischen, die „ing“ Orte dem bayerischen Siedlungsgebiete eigentümlich sind, stützt Weidners Meinung, der im Nibelungenlied genannte Ort Möringen sei nicht mit Großmehring oder Marching, sondern mit dem abgegangenen Möringen bei Donauwörth identisch.

Es bietet einen egenartigen Reiz, Weidners Ansicht über die möglichen Beziehungen der Donauwörther Gegend zum Nibelungenlied an Hand der Dichtung und der in Betracht kommenden Oertlichkeit selbst nachzuprüfen. Mag immerhin die Wissenschaft seine, vielleicht allzu kühne Ansicht ablehnen, so wird die Beschäftigung mit diesem Gegenstande doch manchen Leser veranlassen, unsere herrliche Nationaldichtung selbst nachzulesen, deren letzte Verse, rückschauend auf das gewaltige Geschehen, auf das tragische Schicksal Kriemhilds und ihres Siegfried und auf den Untergang der Nibelungen wehmutsvoll ausklingen in die Klage, wie auf Erden Liebe und Leid so eng miteinander verknüpft sind:

„mit leide was verendet des künges hochgezit,
als ie din liebe leide an dem ende gerne git.“
(Mit Leid war beendet des Königs Lustbarkeit,
wie immer Leid die Liebe am letzten Ende verleiht.)

 

 

[1] Vergleiche über den Ort: Dertsch, „Die deutsche Besiedlung des östlichen bayerischen Mittelschwabens“ in Schröders Archiv für die Geschichte des Hochstifts Augsburg, 6. Band, 1925, S. 315. 394.

[2] Diese Deutung der Flur- und Ortsnamen muß freilich vom wissenschaftlichen Standpunkt abgelehnt werden.

[3] Der Name Brünnsee kommt von dem in der Mitte des Ortes befindlichen Brunnen her. Die Quelle ist so stark, daß das Abwasser früher eine Papiermühle trieb (Angabe im amtlichen Naturschutzkataster des Bezirksamts Donauwörth).

[4] Herold Emil, „Ein Jubiläum des Niebelungenlieds“, im „Fränkischen Kurier“ vom 19.8.1925, S. 15.

[5] Vgl. Karl Popp, „Die Römerstraße längs des rechten Ufers der Donau“, 1894, S. 7, und die dem „Bericht über die Erforschung der Römerstraße auf dem rechten Donauufer, Teilstrecke Obermühle bei Weichering bis Ober-Peiching am Lech“ von W. Sing, Neuburg. 12. N. Kollekt. 1897 beigegebene Karte.

 

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siehe auch verschiedene Beiträge über mögliche historische Hintergründe des Nibelungenlieds:

zu Möringen siehe auch: